Ich bin überzeugt: Ben ist mit dieser Aufgabe auf die Welt gekommen.

Unser 12-jähriger Sohn sprengt Grenzen.

Mit seinem Verhalten und seiner Sprache triggert er immer wieder Erwachsene – mich und meinen Mann inklusive. Schon als kleiner Bub kämpfte er darum, mit seinem eigenen Willen respektiert zu werden, auf Augenhöhe mit uns zu sein. Und kämpfen musste er. Denn als frischgebackene Eltern begannen wir das Abenteuer «Kind» mit übernommenen Vorstellungen, wie wir Ben «erziehen» wollten: Liebevoll und gerecht, gleichzeitig konsequent und streng.

Unbewusst gingen wir davon aus, dass wir ihm alles Nötige beibringen müssten, damit er zu einem akzeptierten Mitglied der Gesellschaft werden und seinen Weg machen würde.

 

Verzweifelte Lernjahre

Diese Vorstellungen, die ich heute als Konditionierung erkenne, führten zu einigen Jahren der Verzweiflung. Im Zuge dieser Jahre erstellten wir nach bestem Wissen und Gewissen Regeln und forderten Gehorsam ein. Nach einem Triple-P-Kurs sperrten wir Ben jeweils gar für kurze Zeit im Zimmer ein, wenn er unsere Ansagen drei Mal missachtete (das hatten sie im Kurs doch so gesagt!). Ohne zu wissen, was wir taten, versuchten wir immer wieder, den Willen des kleinen Mannes zu brechen – Gott sei Dank ohne Erfolg.

Er war es schliesslich, der UNS zum Umdenken brachte: Was wollten uns diese häufigen Tränen und Kämpfe sagen? Warum fühlten wir uns allesamt schlecht? Etwas lief hier doch falsch!

 

 

Übernommenes erkennen und über Bord werfen

Ich beglückwünsche uns heute noch zum Mut, dass wir uns in der Folge trauten, uns selbst zu hinterfragen. Dass wir Übernommenes als solches erkannten und über Bord warfen, wenn es uns selbst im Herzen nicht entsprach. So wurde unser Sohn zum Lehrer in unserer eigenen persönlichen Entwicklung.

Wir ersetzten Strenge durch Liebe und haben neue Grenzen gezogen, mit denen wir als Familie heute zufrieden leben.

Ben ist mittlerweile ein selbstbewusster 12-Jähriger, der weiss, was er will. Mit seinen verbalen Äusserungen schiesst er ab und an übers Ziel hinaus. Seine frühkindlichen Erfahrungen und jene, die er im Kindergarten und den ersten Schuljahren machte, stecken ihm noch in den Knochen.

 

Projektionsfläche für alles, was Menschen an sich noch ablehnen

Ben glaubt, sich verteidigen zu müssen – besonders Erwachsenen gegenüber, die ihn nicht für voll nehmen und ihre eigenen Konditionierungen noch nicht zu hinterfragen bereit sind.

In meiner Wahrnehmung stellt er für sie mit seiner kämpferischen und oft provokativen Art die perfekte Projektionsfläche dar für alles, was sie an sich und anderen ablehnen, weil es ihnen in frühen Jahren abtrainiert wurde:

Das bedingungslose Einstehen für die eigenen Bedürfnisse. Das Äussern des eigenen Willens. Die Weigerung, sich für andere zu verbiegen und klein zu machen. Das Einfordern der inneren und äusseren Freiheit, ungeachtet jeglichen Rufs nach falsch verstandener Solidarität.

 

Trigger auch für mich

So forderte ihn beispielsweise unlängst eine Nachbarin dazu auf, im Beisein ihres 7-jährigen Sohnes der Strasse vor dem Haus fernzubleiben, um gefährliche Situationen zu vermeiden.

Ben antwortete ihr, dass er nicht für ihren Sohn verantwortlich ist und weiterhin Dinge tun wird, die sie – anders als er – als gefährlich einstuft. Damit stand er für sich ein und lehnte es ab, sich für die Interessen der Nachbarin zu verbiegen. In seiner Verteidigungshaltung verband er diese klare Botschaft jedoch mit einer trotzigen, frech anmutenden Tonalität.

Dies wiederum triggert mich. Wertschätzende Kommunikation ist mir wichtig, ich widme mich beruflich diesem Thema. Zu oft habe ich als Kind das Gegenteil erlebt und musste hilflos zusehen, wie sich Erwachsene gegenseitig aufstachelten, nur weil sie meines Erachtens die falschen Worte wählten.

Und so geht Ben seinen Weg und bricht weiterhin Grenzen auf, meine und andere. Unwillentlich, denn die entsprechenden Situationen machen auch ihm zu schaffen.

 

Indigokinder sprengen das System

In einem Buch über so genannte Indigokinder fand ich eine Beschreibung, die mir noch mehr klar machte: Diese Kinder der neuen Welt sind jene, die nicht mehr ins bestehende System passen. Sie sind unangenehm für Menschen, die sich mit diesem System und seinen Werten identifizieren. Letztlich ist es die Aufgabe dieser Kinder, eben diese Systeme zu sprengen, um sie dereinst neu zu gestalten und aufzubauen.

Grenzensprengerkinder.

Ben gehört definitiv dazu.

Er wird noch lernen, seine Bedürfnisse und seinen Willen mit wertschätzenden Worten zu äussern. Während wir Erwachsenen die Chancen nutzen dürfen, die diese Kinder für unsere Selbstentfaltung mit sich bringen.

Hinterfragen statt projizieren. Das ist einmal mehr der Schlüssel.

 

PS: Ich habe Ben diesen Text gezeigt, bevor ich ihn veröffentlicht habe. Sein Kommentar „Wow, Mama, dieser Blog ist dir gut gelungen!“ bedeutet für mich, dass er mit seiner Publikation einverstanden ist.