Killerargumente haben das Ziel, eine sachliche Diskussion im Keim zu ersticken. Sie sind manipulativ und dienen als Vorwand für andere, dahinterstehende Motive. Neben den bekannten Merkmalen von Killerphrasen sind es heute besonders Hinweise auf die Sicherheit sowie die Solidarität mit anderen, die dich hellhörig machen sollten. Das gilt insbesondere dann, wenn du dich selbst als sicherheitsorientierten oder solidarischen Menschen verstehst.

 

Ich erinnere mich gut: Als junge PR-Fachfrau machte ich grosse Augen, als ich die Begriffe «Killerargument», «Killerphrase» und «Totschlagargument» zum ersten Mal hörte. Diese kriegerischen Begriffe stehen für Aussagen, die eine konstruktive Diskussion mit fadenscheinigen Begründungen oder emotionalen Appellen frühzeitig unterbinden. «Als intelligenter Mensch müssten Sie doch wissen, dass das nötig ist» ist eine solche Phrase.

Eine adäquate Reaktion auf Killerargumente ist schwierig: Meist werfen sie uns so aus der Bahn, dass uns eine passende Replik erst im Nachhinein in den Sinn kommt. Oder wir erst dann merken, dass wir argumentativ hinters Licht geführt worden sind.

Neben den üblicherweise beschriebenen Merkmalen von Killerargumenten (ich werde sie unten erwähnen) gesellen sich in meiner Wahrnehmung zwei gewichtige – und heute äusserst populäre – hinzu: a) Der Hinweis, dass etwas zu unserer SICHERHEIT geschieht oder geschehen muss, und b) dass die SOLIDARITÄT mit anderen etwas erforderlich macht. Diese zwei emotionalen Argumente vermögen alle sachlichen Argumente und Fakten im Keim zu ersticken. Mit ihnen kann (fast) alles durchgesetzt werden, und sei es noch so unliebsam. (Die letzte Abstimmung zur AHV in der Schweiz lässt grüssen.)

Bezeichnest du dich selbst als sicherheitsliebenden oder solidarischen Menschen, solltest du besonders hellhörig sein, wenn solche Argumente eingebracht werden.

 

Ein halber Meter zu weit

Killerargumente – auch heute noch macht mir der Gebrauch dieses Kriegswortes Mühe – kommen sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Kontext vor. Oft sind sie kaum als solche zu erkennen. Wie etwa in der Situation, die ich vor kurzem erlebt habe:

Wir besuchten unsere Freundin Corinna, wie wir es in letzter Zeit einige Male getan hatten. Unser Wohnmobil parkten wir auf einem der fünf Besucherparkplätze neben ihrem Haus. Sie stehen in einem rechten Winkel zur Strasse. Diese liegt wenig befahren zuoberst im Quartier – auf der einen Seite gesäumt von Einfamilienhäusern, auf der anderen Seite von einem weiten, nach oben hin offenen Feld. Spaziergänger sind hier selten zu sehen: Sporadisch fahren Nachbarn mit dem Auto oder auf dem Fahrrad vorbei, wenn sie hinunter ins Dorf wollen.

Mit dem Fahrradträger ragte unser Wohnmobil etwa einen halben Meter auf die Strasse hinaus. Dies bewog die fünf Häuser weiter unten wohnhafte Nachbarin dazu, an Corinnas Tür zu klingeln. Wem das Auto gehöre, wollte sie mit Blick auf unseren «Luke» wissen. Uns, antwortete ich. Sie brachte ihr Anliegen vor:

 

«Das geht so nicht!»

«Hören Sie, das geht nicht. Sie können so nicht parken. Wir und die anderen Nachbarn haben dies schon das letzte Mal gedacht, als sie da waren. Die Strasse ist so nicht mehr in ihrer ganzen Breite zu sehen. Weiter unten an der Strasse wohnen Kinder. Wir sind um ihre Sicherheit besorgt. Es könnte ein Auto kommen und sie übersehen, wenn sie sich direkt hinter ihrem Auto befinden und plötzlich auf die Strasse rennen.»

Erst als das Gespräch beendet und die Haustür wieder geschlossen war, konnte ich den Gründen nachgehen, weshalb mich die Konversation so unangenehm berührt hatte.

Allmählich kristallisierte sich für mich heraus, dass es der Nachbarin um etwas anderes als die von ihr erwähnte mögliche Gefahrensituation ging: Es ging ihr darum, ihre Autorität als Anwohnerin der Strasse zu demonstrieren. Sie fühlte sich von der Tatsache gestört, dass unser grosses, für sie unbekanntes Auto so oft an «ihrer» Strasse parkte. Das war zumindest die Schlussfolgerung, die sich für mich als wahr anfühlte.


In Wirklichkeit geht es um etwas anderes

Bei ihrer Aussage hatte sich die Nachbarin unbewusst verschiedener Killerargumente bedient. Diese sind unter anderem an folgenden Merkmalen erkennbar:

1 – Verwendung von Pauschalurteilen, Verallgemeinerungen, Klischees, Schubladen
(hier: «Wir Nachbarn sind der Meinung, dass …» oder im übertragenen Sinn «als Nicht-Ansässige wissen Sie nicht, dass weiter unten Kinder wohnen / es gefährlich werden kann»)

2 – Verwendung von schwer nachprüfbaren Behauptungen (z.B. Hinweis auf eine Möglichkeit, deren Eintreffen unwahrscheinlich ist)
(hier: «Kinder könnten verletzt werden, wenn Sie Ihr Auto so parken» oder «sollte ein Auto genau dann kommen, wenn sich Kinder direkt hinter Ihrem Fahrzeug befinden sollten, und sollten diese ferner gerade dann hinter Ihrem Fahrzeug hervorspringen, wenn sie die Fahrerin / der Fahrer nicht sieht, dann könnte es zu verletzten oder toten Kindern kommen.»)

3 – Dem Ausgang des Gesprächs wird vorgegriffen, das Resultat scheint undiskutabel
(hier: «Sie müssen Ihr Auto anderswo parken.»)

Auf dieser ausführlichen Liste findest du viele Killerargumente, die dir in der einen oder anderen Form wahrscheinlich schon begegnet sind.

 

Achtung bei Hinweisen auf Solidarität oder Sicherheit!

In der Argumentation der Nachbarin entnehme ich neben obigen bekannten Merkmalen von Killerargumenten noch drei weitere Merkmale. Sie haben in der aktuellen Zeit Hochkonjunktur. Ich betrachte sie als besonders heimtückisch, da sie sich alle der Angst von Menschen bedienen und hoch manipulativ sind:

4 – Hinweis auf die Sicherheit
(hier: «Es ist nicht sicher, so zu parken» bzw. «Sie gefährden die Sicherheit von Kindern»)

Wie im letzten Blog «Verbotitis» dargelegt, steht der Ruf nach Sicherheit oft der Wahrung von Freiheit gegenüber. Bekannt ist Benjamin Franklins Aussage «Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren». Persönlich finde ich, dass wir diesem Punkt in der heutigen Gesellschaft gefährlich nahegekommen sind. Dies zeigt sich sowohl im Grossen als auch im Kleinen.

5 – Hinweis auf die Solidarität mit anderen
(hier: «Seien Sie solidarisch mit uns Nachbarn und Kindern, parken Sie um!»)

Ich halte den Appell an die Solidarität für die Krönung der Manipulation. Diesem Punkt habe ich einen separaten Blog gewidmet. Nie war es wichtiger, hier die Antennen fein einzustellen und äusserst wachsam zu sein!

6 – WIR als Hinweis darauf, für eine grössere Gruppe zu sprechen
(hier: «Wir Nachbarn sind der Meinung, dass …»)

Der Satz «Wir Nachbarn …» ist eine Variante eines übergriffig verwendeten WIRs (lies auch dazu den entsprechenden Blog). Wer das «wir» benutzt, um für eine unsichtbare grosse Gruppe zu sprechen, versucht, die eigene Position zu stärken. Gleichzeitig schürt es bei den Angesprochenen die Angst, minderwertiger als die Mitglieder dieser Gruppe zu sein, von ihr ausgeschlossen zu sein, von ihr eines Vergehens bezichtigt oder gar angegriffen zu werden. In diese Kategorie von Killerargumenten gehören auch Aussagen wie «Weltweit sind sich Wissenschaftler einig darin, dass …».

Motive für Killerargumente: Angst und Machtdemonstration

Wer Killerargumente verwendet, hat – oftmals unbewusst – ein verstecktes Motiv dafür. Es geht immer um etwas anderes als das zur Schau gestellte, vordergründige Argument.

Die drei in der Literatur am häufigsten genannten Motive erscheinen mir plausibel:

  1. Angst vor Veränderung
  2. Angst vor Nicht-Konformität
  3. Demonstration von Macht, Autorität, Erfahrung oder Intelligenz

Hinter den Aussagen der Nachbarin nahm ich sowohl die Angst vor Veränderung («da parkt neu ab und zu ein fremdes, grosses Auto in unserer Strasse») und die Demonstration von Autorität wahr («wir als Anwohner der Strasse finden, dass Sie anderswo parken müssen»).

Die Angst vor Nicht-Konformität kam ebenfalls zum Tragen: Sätze wie «Das geht so nicht», «Sie dürfen das nicht», «Das ist nicht erlaubt» oder das gute alte «Das darf man nicht» sind Botschaften, denen dieses Motiv zugrunde liegt.

Im geschäftlichen Umfeld steckt dieses Motiv hinter Sätzen, die vor Neuem – etwa neuen Vorgehensweisen oder neuartigen Projekten – warnen: «Das ist eine Nummer zu gross für uns» oder «Das hat vorher noch nie jemand (so) gemacht».

 

So reagierst du am besten auf Killerargumente

Hier sind meine Anregungen, wie du am besten auf Killerphrasen reagierst:

a) Killerargument als solches erkennen
Zunächst ist es wichtig, dass du ein Killerargument als solches identifizierst. Genau wie bei Double Binds erkennst du dann erst die Falle und kannst sie elegant umgehen.

Um wiederum in der Lage zu sein, ein Killerargument zu identifizieren, braucht es einen wachen, kritischen Geist. Ein solcher fehlt dir im Zustand der Angst. Nur angstfrei bist du in der Lage, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden und zu hinterfragen, was dir als unabdingbar aufgetischt wird.

b) Haltung einnehmen und durchatmen
Richte dich innerlich und äusserlich auf. So erinnerst du dich automatisch an deine eigene Grösse und wirst geistesgegenwärtig. Du lässt dich weniger verunsichern. Eine kurze Atempause hilft, um dich zu sammeln und eine sachliche Antwort vorzubereiten.

c) Den eigenen Standpunkt darlegen
Beginne ruhig, deine Sichtweise der Situation darzulegen. Fang dafür am besten mit einem Satz an, mit dem du den vorgebrachten Einwand zur Kenntnis nimmst – etwa «Ich sehe, was Sie mir sagen wollen. Gleichzeitig schätze ich die Situation anders ein». Erläutere deinen Standpunkt.

An dieser Stelle ist es wichtig, dass du es vermeidest, das Killerargument zu verneinen («Es stimmt gar nicht, dass ich / wir …»). Damit verstärkst du es nur.

d) Sachliche Argumente / Präzisierung einfordern
Allenfalls kannst du nach deinen Ausführungen um weitere sachliche Argumente oder deren Präzisierung bitten. Im Fall der Nachbarin hätte ich beispielsweise sagen können «Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass eine solche Gefahrensituation tatsächlich eintritt?». Da das wenig zielführend erschien, habe ich eine solche Frage unterlassen.

Es ist sinnvoll, bei allfälligen Nachfragen ein «warum» zu meiden (etwa «Warum stellen Sie sich gegen das neue Projekt?»). Solche Fragen führen lediglich dazu, dass sich die angesprochene Person rechtfertigen muss. Auch das ist wenig zielführend. Stattdessen kannst du Fragen mit «was», «wie» oder «welche» stellen: «Was braucht es Ihrer Meinung nach, damit wir das Projekt umsetzen können?» oder «Wie gehen wir am besten vor, um …?» oder «Welche Voraussetzungen benötigen Sie, um …?».

 

Ein bewusstes Missachten oder Missverstehen des vorgebrachten Killerarguments, wie es auch empfohlen wird, erscheint mir provokativ. Ebenso, das Killerargument auf der Metaebene anzusprechen («Gibt es neben diesem Killerargument noch andere, echte Einwände?»). Dies stellt die andere Person bloss. Damit bleiben wir auf der emotionalen Ebene, statt das Gespräch auf die sachliche Ebene zu heben.

Vielleicht teilst du mit mir die Einschätzung, dass der Umgang mit Killerargumenten eine echte Herausforderung ist! Umso froher bin ich, das Gespräch mit der Nachbarin in gegenseitigem Einverständnis beendet zu haben:

Es gelang mir, ruhig zu bleiben und der Frau fest in die Augen zu blicken. Ich antwortete ihr, dass ich ihre Erläuterungen gerne so zur Kenntnis nähme. Gleichzeitig schätzte ich die Lage anders ein als sie. Ich hielte die Sicherheit für gewährleistet. Die Strasse sei nach wie vor sehr übersichtlich. Die einzigen Kinder, die sich an dieser Stelle des Weges jemals gesehen hätte, seien unsere. Ich ergänzte, dass wir in einer Stunde wieder weg seien. Sollten wir uns einmal für längere Zeit bei unserer Freundin aufhalten, seien wir bestrebt, unser Wohnmobil anderswo zu parken.

Sie war zufrieden. Und ich nach der Reflexion der Konversation auch. Immerhin hat sie mich zu einem weiteren Blogbeitrag inspiriert. Danke!