Am gestrigen Weihnachtsmarkt in Interlaken ging ich mit Ben, Mia und Ronja, der Tochter unserer Freundin, von Stand zu Stand und betrachtete aufmerksam die ausgestellten Waren. Diese waren mal liebevoll von Hand hergestellt, mal ein- und weiterverkauft.

Fasziniert von einer Gruppe bunt bemalter Nussknacker-Figuren aus Holz, erlaubte sich mein Sohn, einen davon vorsichtig anzufassen. Sofort mahnte der Standbesitzer: «Schauen ist erlaubt, anfassen nicht.» Ben antwortete: «Vielleicht will ich ihn ja kaufen?» Das «Ja, vielleicht» des Standbesitzers machte deutlich, dass er diese Möglichkeit kaum in Betracht zog.

Wir gingen weiter, und ich habe die Kinder einige weitere Male an diesem Tag selbst daran erinnert, nur zu schauen.

Be-GREIFEN beinhaltet die Berührung mit der Hand

Zuhause jedoch kamen mir Zweifel an dieser Konditionierung aus Kindertagen. Ben hatte mehr von diesem Nussknacker wissen wollen, den er so zum ersten Mal sah. Wo kommt die Nuss rein, wie funktioniert er? Es reichte ihm nicht, das ungewohnte Objekt mit seinen Augen zu er-FASSEN, er wollte dafür auch seine Hand benutzen.

er-FASSEN und be-GREIFEN beinhalten beide eine Berührung mit der Hand. GREIFEN hat seine angestammte Bedeutung «fassen, tasten, mit der Hand berühren» bis heute behalten. Ebenso FASSEN, das «etwas greifen, festhalten» oder auch «etwas aufnehmen können» bedeutet. Wir alle wissen, dass kleine Kinder die Welt ER-fassen, indem sie sie AN-fassen.

Materie über Geist, oder Geist über Materie?

Wenn wir ihnen dies verbieten, setzen wir unser materialistisches Denken über den Entdeckungsgeist des Menschen. Dies ist meine gestrige Schlussfolgerung. Auch an diesem gängigen Tabu dürfen wir rütteln.

Ausserdem: Ist eine Ware von hoher Qualität, wird ihr die Berührung eines Menschen nichts ausmachen. Im Gegenteil – sie wird sie lieben, und sie wird schöner dadurch. Dies gilt insbesondere für natürliche, langlebige Materialien.

In diesem Zusammenhang kommt mir eine Begebenheit in den Sinn, die der Autor Wladimir Megre im ersten Band der Anastasia-Bücher schildert. Die darin erwähnte sibirische Kiefer kennen wir hierzulande als Zirbelkiefer oder Arve:

Schöner als ein Besuch in der Tretjakow-Galerie

«Der Alte meinte, diese Zeder sei etwas Besonderes, und die Stückchen sollte man an einer Schnur auf der Brust tragen. Man solle sich eines davon anlegen, während man barfuss auf dem Gras stehe und es mit der linken Hand an die nackte Brust drücke. Nach einer Minute werde man eine angenehme, von der Zeder ausgehende Wärme spüren, und dann werde ein leichtes Zittern den Körper durchlaufen. Ab und zu solle man, wann immer man möchte, die Seite des Holzstückchens, die den Körper nicht berührt, mit den Fingerspitzen reiben, während man es von der anderen Seite mit den Daumen hält. (…)

Aus Achtung vor ihrem Alter wollte ich nicht weiter streiten und sagte: «Nun, vielleicht wird jemand ein Stück von Ihrer Zeder tragen, wenn ein grosser Holzschnitzer mit seinem Messer ein Kunstwerk daraus schafft…»

Doch darauf erwiderte der Alte: «Natürlich kann man daraus etwas schnitzen, aber Reiben und Polieren ist besser. Am besten aber ist es, wenn man es mit seinen eigenen Fingern reibt, wann immer die Seele es wünscht: dann wird das Holz auch äusserlich schön sein.» Dabei knöpfte der jüngere Alte hastig seine zerschlissene Jacke und sein Hemd auf, und ich erblickte auf seiner Brust ein gewölbtes, rundlich-ovales Holzstück. Seine bunten Farben – violett, weinrot, fuchsrot – bildeten ein kompliziertes Muster mit Holzadern, die wie winzige Bäche wirkten. Ich bin zwar kein Kunstkenner, habe aber in meinem Leben hin und wieder Gemäldegalerien besucht. Die weltberühmten Meisterwerke haben bei mir keine besonderen Gefühle hervorgerufen, doch der Anhänger auf der Brust des Alten beeindruckte mich sehr – mehr als ein Besuch in der Tretjakow-Galerie.»

Wie schön! Beginnen wir die Natur und unsere eigenen Fähig- und Fertigkeiten wieder zu schätzen, wird so manch Unechtes, maschinell Hergestelltes seinen Wert verlieren und wieder dem Echten weichen. Dieses kann dann seine wohltuende Wirkung auf uns entfalten.

In diesem Sinne wünsche ich dir wunder- und wandelvolle Weihnachtsmarktbesuche!