«Wenn du nicht sofort aufhörst, gehen wir direkt nach Hause.»

«Du darfst erst vom Tisch aufstehen, wenn du deinen Teller leer gegessen hast.»

«Wenn du mir geholfen hättest, wäre ich jetzt nicht so müde.»

 

Kennst du solche Sätze?

Ich gehe davon aus, dass nahezu alle von uns mit solchen Aussagen aufgewachsen sind.

Unsere Eltern oder engsten Bezugspersonen waren sich kaum bewusst, dass sie uns damit einen Bärendienst erwiesen haben. Denn solche Sätze haben uns gelernt, dass wir uns auf eine bestimmte Art verhalten müssen, um angenommen, mit Aufmerksamkeit bedacht – geliebt zu werden.

Das ist das Gegenteil von bedingungsloser Liebe.

 

Kondition heisst Bedingung – Konditionierung ist Erziehung zur Bedingungserfüllung

Das untermauert auch die Grammatik:

Ein mit «Wenn…» eingeleiteter Nebensatz ist ein Konditionalsatz. Der Begriff kommt vom lateinischen Wort «conditio», was «Bedingung» bedeutet.

Der Nebensatz benennt also die Bedingung, die zur Erfüllung des Hauptsatzes nötig ist (reale Bedingung) oder nötig gewesen wäre (irreale Bedingung).

 

«Was werden die anderen sagen?!»

Für mich ist eine Erziehung, die sich häufig solcher Konditionalsätze bedient, die Wurzel (fast) allen Übels.

Sie ist die Grundlage dafür, dass wir im Erwachsenenalter

  • die Erwartungen anderer erfüllen, statt auf unsere eigenen Bedürfnisse zu achten,
  • uns am Aussen statt an unseren eigenen Empfindungen orientieren, und so
  • blinden Gehorsam an den Tag legen, statt emotionale Erpressung und Manipulation zu erkennen.

Aus Angst, abgelehnt oder aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, folgen wir beflissen den Vorgaben und Regeln, die «von oben» kommen. Viele haben die Angst ihrer Eltern übernommen, die im Satz «Was werden die anderen sagen?!» zum Ausdruck kommt.

Auch ich kenne das Gefühl, in der Öffentlichkeit ja nicht durch ein Verhalten auffallen zu wollen, das den gängigen Regeln zuwider läuft – egal, wie unsinnig sie sind. Egal, wie falsch sie sich für mich anfühlen.

Es ist Teil unserer persönlichen und spirituellen Entwicklung, diese Angst abzulegen.

Und ebenso, übernommene Sprachmuster zu hinterfragen und unsere Ausdrucksweise bewusst neu zu gestalten.

Mütter und Väter sind nicht unfehlbar

Ich bin selber Mutter. Und ich weiss, wie schwierig es ist, auf Bedingungssätze wie die oben erwähnten zu verzichten. Erst heute habe ich mich dabei ertappt, wie ich zu meinem Sohn sagte: «Wenn du nicht höflicher mit mir sprichst, wird mir erstmals die Hand ausrutschen.»

Eine dreiste, unnötige Drohung. Ausgesprochen wohl nicht zufällig am gleichen Tag, an dem ich diesen Blog schreibe.

Es macht mich demütig und ich weiss: Ich bin nicht unfehlbar. Mütter und Väter sind nicht unfehlbar. Das macht uns menschlich und echt.

 

Das Resultat: Freie Denker

Gleichzeitig darf ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, was meine Bedingungssätze bei meinen Kindern bewirken. Dann versuche ich, sie nach und nach wegzulassen.

Bei unseren Kindern hat dies – zusammen mit anderen Instrumenten einer bewussten Kommunikation – dazu geführt, dass sie frei sind. Sie denken frei und handeln frei.

Manchmal ecken sie damit in einer Gesellschaft, in der alles regelkonform zu sein hat, an. Manchmal ecken sie damit auch bei mir bzw. meinem konditionierten Ich an.

Diesen Preis zahlen wir gerne. Denn die beiden wissen, dass wir sie bedingungslos annehmen, wie sie sind. Und das dient ihnen auf lange Sicht mehr als jedes Einhalten unserer von aussen auferlegten Bedingungen.