((Neuauflage des Blogs, in der Erstfassung veröffentlicht am 18. August 2018))
„Menschen, deren Ziel Erleuchtung ist, haben keine Zeit für Wissenschaft – sie brauchen Wissen.“
— Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke in „Krankheit als Weg“
Mitten in der angeregten Diskussion erläuterst du deine neusten Erkenntnisse, entstanden aus innen heraus – Ergebnis eines Geistesblitzes, einer Eingebung. Da fragt dich dein Gegenüber: „Ist das wissenschaftlich nachgewiesen?“
Hast du das auch schon erlebt?
Oft genug erstickt diese Killerfrage jede weitere Anregung im Keim. Wenn ein Sachverhalt nicht im Rahmen einer Studie untersucht und von dieser als richtig oder falsch deklariert wurde, gilt er nicht. Die Forschung bestimmt darüber, was wahr sein darf. Unser Vertrauen in die Wissenschaft scheint grenzenlos. Oft vertrauen wir ihr mehr als unserer eigenen Erfahrung.
Der Authority Bias
Das gilt beispielsweise für die Wirksamkeit von Medikamenten. Dass ein erstaunlich hoher Anteil an Medikamenten bei erstaunlich vielen Menschen erstaunlich wirkungslos ist, dringt kaum in unser Bewusstsein – immerhin kommt hierzulande kein Mittel ohne entsprechende wissenschaftliche Studien auf den Markt. Unwirksame Medikamente? Das kann nicht sein!
Unsere Studien- und Wissenschaftsgläubigkeit ist derweil ungebrochen. Der „Authority Bias“ kommt zum Tragen: Was Wissenschaftler oder Experten sagen, wird im Zweifel für richtig eingestuft – allein der weisse Kittel oder das Label „Experte“ reicht aus, damit wir diesen Meinungen bereitwillig Glauben schenken.
Relativisten streiten mit Universalisten
Lange hatte auch ich Respekt vor der Frage nach der Wissenschaftlichkeit. Beispielsweise gebe ich im Rahmen meiner Arbeit meine Erkenntnis weiter, dass wir mit unserer Sprache unsere Wirklichkeit beeinflussen.
Ich habe Glück: Obwohl entsprechende Studien schwierig zu bewerkstelligen sind, wird die Frage erforscht! Zu einem abschliessenden Beweis ist es allerdings nicht gekommen. Noch streiten sich darüber Linguisten aus dem Lager der Relativisten (die davon ausgehen, dass unsere Sprache unser Denken und damit unsere Wirklichkeit beeinflusst) und aus dem Lager der Universalisten (die dies verneinen).
Studien versus eigene Erfahrung
Was also soll ich tun? Ist die Aussage solange eine reine Behauptung, als kein abschliessender Beweis dafür oder dagegen erbracht wurde? Darf ich (m)eine Wahrheit weitergeben, wenn sie „nur“ meiner Erfahrung entspricht, oder muss sie erst durch die Forschung für gültig erklärt werden?
Mein Dilemma löste sich unerwartet, als ich in Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlkes „Krankheit als Weg“ las. Im ersten Kapitel steht da: „Funktionale Abläufe besitzen in sich selbst niemals Sinnhaftigkeit. Der Sinn eines Ereignisses ergibt sich erst aus der Deutung (…).“
Indem die Autoren die Themen Krankheit und Heilung deutend betrachteten, verliessen sie absichtlich das Gelände der wissenschaftlichen Medizin, da diese „sich ja gerade auf die funktionale Ebene beschränkt und somit gleichzeitig verhindert, Bedeutung und Sinnhaftigkeit transparent werden zu lassen.“
„Wer wissen will, hat keine Zeit für Wissenschaft“
Noch expliziter steht im Vorwort: „Menschen, deren Ziel Erleuchtung ist, haben keine Zeit für Wissenschaft – sie brauchen Wissen.“ Das fasste meine Empfindungen in Worte.
Wir verdanken der Wissenschaft grundlegende Erkenntnisse. Sie erklärt vieles – aber nicht alles. Es gibt da eine Ebene, deren Sinn sich nur aus unserer Deutung des Funktionalen ergibt. Vertrauen wir allein der Wissenschaft, lassen wir diese feinstoffliche Ebene aussen vor. Doch genau dort offenbaren sich so viele Möglichkeiten für unsere menschliche Entwicklung!
Seither entscheide ich mich guten Gewissens dafür, mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben – auch, solange entsprechende Studien zu den vermittelten Inhalten noch in Gang sind. Das tue ich auch in dankbarer Anerkennung für die Errungenschaften aller wissenschaftlichen Forschung. Denn Funktionalität und Sinn, wissenschaftliches Verstehen und Deutung schliessen sich nicht aus, vielmehr ergänzen sie einander.