Die meisten von uns haben gelernt, dass es höflich ist zu fragen. Wenn wir fragen, machen wir alles richtig, so meinen wir.

Tatsächlich bewähren sich Fragen oft,

  • wenn ich etwas wissen will, was ich noch nicht weiss.
  • wenn ich eine Bitte habe und Unterstützung brauche, die nicht selbstverständlich ist.
  • um erst nachzufragen, ob ich unterstützen kann, bevor ich unaufgefordert Hilfe leiste (ausser natürlich in einem Notfall) – siehe diesen Blog.
  • um rückzufragen und damit zu signalisieren: Ich will richtig verstehen, was du gesagt hast.
  • um einem Menschen bzw. im Coaching einem Coachee zu erlauben, sein Thema aus einer anderen Perspektive zu betrachten und so eine neue Lösung zu finden.

Unsinnig oder kontraproduktiv

Doch Fragen haben auch ihre Tücken:

Manchmal sind sie unsinnig – etwa, wenn ich im Restaurant frage, ob ich bezahlen darf. Ich weiss genau, was geschieht, wenn ich es unterlasse zu zahlen!

Manchmal ist eine Frage kontraproduktiv – etwa, wenn du dein Kind beim Einsteigen ins Auto fragst, ob es so lieb ist, sich anzuschnallen. Kommt als Antwort ein Nein, wird schnell klar, dass eine Aufforderung in dieser Situation die bessere Wahl gewesen wäre.

Und manchmal geben wir mit einer Frage unsere Macht an andere ab. Auf diesen Gedanken will ich näher eingehen.

 

Von der Erbin zur Bittstellerin – und zurück

Meine Freundin B. hat von ihrer Tante in Amerika Geld geerbt. Dieses Geld wird von einem so genannten “Trust” verwaltet: Eine kleine Gruppe TreuhänderInnen prüft aufgrund gewisser Vorgaben der Erblasserin, ob und wie viel Geld B. aus ihrem Erbe beziehen darf.

Jahrelang bereitete es meiner Freundin Bauchweh, an das Komitee dieses Trusts zu gelangen, wenn sie Geld benötigte. Während es einfach war, den Bedarf für das Schulgeld der Kinder darzulegen, war es für sie viel schwieriger, die Mittel zur Erfüllung anderer Bedürfnisse zu erbeten – eine Reise, regelmässige Yogastunden oder die Miete für eine komfortablere Wohnung.

Wir sprachen über ihr wiederkehrendes Dilemma. Dabei nahm ich wahr, dass ihre Gedanken und ihre Kommunikation dazu führten, dass sie ebenso oft ablehnende wie positive Antworten auf ihre Anträge erhielt: Statt davon auszugehen, dass ihr das Geld zustand und das Komitee lediglich die formellen Rahmenbedingungen zu prüfen hatte, brachte sie sich mit einer fragenden Haltung in die Position der Bittstellerin. Sie benahm sich, als hätte nicht sie, sondern der Trust das Geld geerbt. Damit gab sie ihre Macht ab und hielt sich klein.

Seit ihr dies bewusst ist, bittet sie nicht mehr um das Geld, sondern legt einfach dar, wofür sie es braucht. Die regelmässigen Anträge auf eine Auszahlung sind für sie leicht geworden. Das Verhältnis mit den Trust-Mitgliedern hat sich entspannt, und bislang hat sie das benötigte Geld jedes Mal erhalten.

 

Der Souverän macht sich zum Untertan

Ich selber ertappe mich vor allem in der Interaktion mit Behörden oder anderen offiziellen Stellen dabei, dass ich mit einem unerklärlich flauen Gefühl um etwas bitte, was selbstverständlich ist oder mir zusteht.

“Darf ich die geforderten Belege zur Steuererklärung später nachreichen? Stellen Sie mir bitte eine AHV-Bestätigung (1) aus? Würden Sie mir das Formular für die Auszahlung der Kinderzulagen zukommen lassen?”

Mein Gefühl und meine Sprache – allen voran meine treuherzigen Fragen – verdeutlichen allzu oft, dass ich etwas vergessen habe:

Als Schweizer Bürgerin bin ich Teil des Souveräns in diesem Land. Dazu kommt, dass der Staat dank meiner Geburtsurkunde Kredite bei internationalen Banken aufnehmen kann. Das gilt für die Geburtsurkunden sämtlicher Schweizer BürgerInnen, die zu diesem Zweck bei der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) in Basel hinterlegt sind. Die Geburtsurkunde steht für meine Arbeits- und Schaffenskraft, die ich dem Staat schenke. Obwohl ich dies mittlerweile weiss, benehme ich mich oft noch, als wäre ich die Schuldnerin und der Staat der Gläubiger (genau das wird uns auch weisgemacht). (2)

In dieser Haltung ist es nur folgerichtig, dass sich die amtlichen Stellen manchmal entsprechend verhalten (die Sprache in offiziellen Korrespondenzschreiben spricht Bände und würde mindestens einen eigenen Blog füllen). Es bringt wenig, gegen die Behörden oder die Entscheide von “denen in Bern” zu wettern, wenn ich meine Souveränität innerlich an sie abgegeben habe.

 

In meinen Sätzen schwingt meine innere Haltung mit

Nach meinem Dafürhalten ist es oft wichtig, statt einer Frage bewusst eine Aussage zu machen oder eine Aufforderung auszusprechen. In der Art unserer Sätze schwingt unsere innere Haltung mit. Die Wirkung ist entsprechend anders.

Mit Fragen halten wir uns manchmal klein, anstatt zu unserer eigenen Grösse zu stehen.

Ich habe es mir im Alltag zur Regel gemacht, in den einleitend erwähnten Fällen eine Frage zu stellen – und immer dann, wenn ich mit der Antwort leben kann, auch mit einem NEIN.

Will ich jedoch etwas erreichen oder steht mir etwas zu, dann ist eine Frage fehl am Platz. Dann sage ich meinem fünfjährigen Kind “Putz dir bitte die Zähne!” statt “Putzt du dir bitte noch die Zähne?”. Genauso werde ich nächstes Mal sagen: “Ich brauche eine AHV-Bestätigung. Bitte stellen Sie eine solche für mich aus.”

Dabei kann ich eine Aufforderung selbstverständlich wertschätzend äussern. Klarheit ist auch eine Form der Wertschätzung! Besonders, wenn ich meine Worte in einem authentischen Gefühl der Gleichwertigkeit zum Ausdruck bringe. Das ist höflich und souverän zugleich.

 

 

(1) AHV steht für Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Jede/r arbeitende/r Schweizer/in ist verpflichtet, zur Altersvorsorge AHV-Beiträge einzuzahlen, die im „Ruhestand“ als Rente ausbezahlt werden. Gewisse Auftraggeber (meist Bundesbetriebe) verlangen von mir eine AHV-Bestätigung (Bestätigung, dass ich bei einer AHV-Einrichtung angeschlossen bin und Beiträge einzahle), um für sie tätig zu werden.

(2) Wenn du mehr zu diesem Thema wissen willst, empfehle ich dir, selber mit der Recherche zu beginnen. Es finden sich dazu im Internet Informationen sehr unterschiedlicher Qualität. Ein guter Einstieg ist aus meiner Sicht das Interview mit Arne Freiherr von Hinkelstein zum Thema “Wenig bekannte Zahlungsmittel”: https://www.youtube.com/watch?v=Xd1xscr4hQA

Die Geschichte beginnt mit dem Federal Reserve Act von 1910, im Video ab Minute 7.