Der Auslöser war einmal mehr banal: Die zweite Nacht im Wohnmobil war schwierig für mich – die Decke zu niedrig, das Summen der Heizung zu gross. Mitten in der Nacht suchte ich unmutig nach einer anderen Liegeposition und störte damit den Schlaf meines Mannes. Er reagierte verständlicherweise gereizt.

Schokolade fürs Nicht-Weinen

In dieser befremdlichen Situation überkam sie mich wieder, die Scham. Das Gefühl, mit meinen Gefühlen nicht richtig zu sein, sie nicht zeigen zu dürfen.

Unvermittelt kam mir die Notiz in den Sinn, die ich bei der Aufarbeitung der Unterlagen meines verstorbenen Vaters in einer seiner Agenden gelesen hatte. Da stand, dass er mir eine Tafel Schokolade versprochen hatte, wenn ich eine Woche lang nicht weinen würde.

Weinen war etwas, das sich mein Vater zeitlebens selber nie mit gutem Gewissen erlaubt hatte. Kein Wunder, konnte er mit meinen pubertären Ausbrüchen schlecht umgehen.  

Ich darf nicht so sein, wie ich bin

Wohlverstanden: Ich bin mit liebenden, wundervollen Eltern gross geworden. In ihrer Liebe haben sie stets das gemacht, was sie für unser Bestes hielten.

Unter anderem haben sie uns gezeigt, was richtig und was falsch ist. Doch was ist richtig, und was falsch? Diese Einschätzung ist per se eine BeURTEILung, die wir aufgrund gesellschaftlicher und familiärer Normen treffen. Das Aussen diktiert das Innen.

Loben oder tadeln heisst: urteilen

Diese Beurteilung geben wir in Form eines URTEILs an die Kinder weiter, indem wir ihr Verhalten loben oder tadeln: Bravo, das hast du gut gemacht! Oder: Sei nicht so laut – unartig – hibbelig – aufgedreht! Oder eben: Weine nicht!

Von diesem ständigen Tadeln bleibt oft das Gefühl übrig, dass wir nicht so sein dürfen, wie wir sind. Dass wir insbesondere unsere unangenehmen Emotionen nicht zum Ausdruck bringen dürfen.

Erhalten wir dann als Erwachsene eine Kritik, weckt das unser inneres Kind: Wir fühlen uns – wieder – nicht gut genug.

Mitgefühl – für meine Eltern, mich und mein inneres Kind

Ich weiss, dass du dieses Gefühl, irgendwie daneben und nicht gut genug zu sein, auch kennst. Wir kennen es alle. In einem solchen Moment werde ich mir jeweils bewusst, wo es herkommt.

Dann empfinde ich Mitgefühl: Für meine Eltern, die immer alles gegeben haben, das ihnen möglich war. Für mich selber. Und für mein inneres Kind, das dann gesehen werden will.

Ich kann ihm heute, als erwachsene Karin, das geben, was es früher oft nicht erhalten hat: Verständnis und Annahme. Damit heile ich die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft gleichzeitig.

 

„Wer da schreit, ist dein inneres Kind“ lautet der Titel von Modul 2 meines online-Trainings „Komm in deine Mutterkraft!“. Ein Teil der Übungen darin lehnt sich an das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl an, das ich wärmstens empfehle.

Mehr über unsere Worte und deren Wirkung auf Kinder teile ich im Rahmen meiner Kurse und Impulsreferate für Eltern(foren) bzw. Pädagoginnen und Pädagogen.