Vorgestern wandte sich G. mit einer E-Mail Rat suchend an mich: Sie hatte es bei einem Besuch bei ihrer entfernt wohnenden Tochter kaum aushalten können, wie sehr der Stress und die Verzweiflung die Familie im Griff haben. In ihrer Wahrnehmung machten die drei kleinen Kinder, was sie wollten, und tyrannisierten damit ihre Tochter. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit derselben war sie frühzeitig – selbst emotional aufgelöst – wieder abgereist.

Der Rat, den ich ihr gab, war vielleicht nicht jener, den sie erwartete: Ich riet ihr, ihrer Tochter innerlich zu erlauben, alle übernommenen Verhaltensmuster in diesen verzweifelten Situationen zu erkennen, zu hinterfragen und gegebenenfalls loszulassen. Diesen Prozess habe ich vor fast drei Jahren im Blog zu den „Kindern der neuen Zeit“ beschrieben. Er erscheint mir aktueller denn je.

Dies bringt für sie als Grossmutter eine grosse Herausforderung mit sich: Denn auch sie darf loslassen. Jeder Versuch, sich in die “Erziehungsmethoden” ihrer Tochter einzumischen, wird zu Unstimmigkeiten führen. Es ist nötig sich herauszuhalten, diese schwierige Phase als Heilprozess zu begreifen und in Frieden mit der Situation zu kommen.

 

Das hatte ich nicht erwartet …

Das ist ein übergeordneter Rat, einer aus der Vogelperspektive. Daneben gibt es durchaus Tipps für spezifische Situationen, die kurzfristig zu einer Entspannung in der Familie führen. Mit Weihnachten stehen uns ja Tage bevor, die oft mehr Stress und Konflikte mit sich bringen als die harmonisch-friedliche Kaminfeuer-Idylle, die uns die Werbung am Fernsehen vorgaukelt.

Ein solch hochwirksames, rasch umsetzbares Instrument habe ich vor Jahren an einem Seminar für bewusste Sprache in Nürnberg erhalten. Wir wenden es immer noch an. Es hat in unserer Familie alles verändert.

An besagtem Seminar waren wir TeilnehmerInnen damals eingeladen, in der Gruppe eine kommunikativ herausfordernde Situation zu schildern. In meinem Fall waren dies die (beinahe) täglichen Ausraster abends, wenn ich die Kinder zu Bett brachte – und diese dann nicht schlafen wollten. Mein Nervenkonstüm und mein Geduldsfaden waren damals so angespannt, dass die kindliche Verweigerung, endlich ruhig zu sein, beides sprengte. Ich begann zu schreien und knallte dann die Tür zum Kinderzimmer hinter mir zu.

Die SeminarteilnehmerInnen sassen nach dieser Schilderung ebenso geschockt da, wie ich beschämt. Ich erwartete einen hilfreichen kommunikativen Rat – und erhielt von der Seminarleiterin etwas gänzlich anderes. Es war die Frage:

“Wie sitzt ihr denn zuhause am Familientisch?”

Eine stimmige RANGfolge verhindert RANGeleien

Bitte?

Ich verstand nicht. Was hatte unsere Sitzordnung am Tisch mit meinen emotionalen und verbalen Ausbrüchen zu tun?

Einiges, sollte sich herausstellen. Die Seminarleiterin erläuterte, dass es eine grosse Ruhe ins ganze Familiensystem bringt, wenn jedes Familienmitglied am Tisch “seinen” Platz einnimmt. Oder anders gesagt: Die richtige RANGfolge führt zu weniger RANGeleien.

Das Einnehmen des richtigen Platzes im Familiensystem ist auch das Prinzip des Famiilienstellens: Ziel dieser Therapieform ist vereinfacht gesagt, die Familienmitglieder so im Raum aufzustellen, dass sich alle wohl oder eben “in Ordnung” fühlen. Was im Seminarraum stattfindet, überträgt sich auf das ganze Leben.

Ich halte das Familienstellen für eine der wirksamsten Therapien überhaupt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich die (untereinander meist völlig unbekannten) TeilnehmerInnen einer solchen Sitzung automatisch so im Raum aufstellen, dass sie die Situation und das Befinden des Menschen, dessen Rolle sie einnehmen, zum Ausdruck bringen.

Ebenso erstaunlich ist es, was eine Veränderung dieser Position und vor allem auch die wenigen Sätze, die dann ganz bewusst gesprochen werden -, alles bewirken: Emotionen fliessen, Verstrickungen werden sichtbar und lösen sich, die Last fällt ab.

 

Wie sieht die “richtige” Rangordnung aus?

Bert Hellinger, der Begründer des Familienstellens, fand im Zug seiner vielen Interventionen heraus, dass es auch am heimischen Familientisch eine für alle stimmige Position gibt. Die von ihm empirisch hergeleitete – also auf Erfahrungen basierende – “richtige” Reihenfolge sieht wie folgt aus:

Die Rangfolge beginnt beim Vater, der in der Regel die Hauptverantwortung für die Familie trägt. Das kann auch die Mutter sein, jedoch ist dies die Ausnahme. Bitte beachte: Es geht dabei weder um eine Wertung noch um eine patriarchale Sichtweise! Es hat sich einfach gezeigt, dass sich bei dieser Positionierung alle Familienmitglieder wohl fühlten.

Die Reihe geht danach im Uhrzeigersinn weiter mit der Mutter, die also links vom Vater sitzt. Danach folgt das Kind, das als erstes auf die Welt gekommen ist. Links neben ihm folgt der zweitjüngste Nachwuchs, dann der drittjüngste usw.

Diese Reihenfolge kann im Uhrzeigersinn gedreht werden. Wenn du das Titelbild dieses Beitrags betrachtest, ist es zum Beispiel möglich, dass der Vater unten links sitzt, die Mutter ihm gegenüber, neben ihr der älteste Sohn, und rechts unten neben dem Vater die jüngere Tochter. Oder: Vater und Mutter sitzen nebeneinander auf der einen Seite (z.B. unten rechts der Vater, unten links die Mutter). Der ältere Sohn sitzt der Mutter, die jüngere Tochter dem Vater gegenüber.

 

Gehört – umgesetzt – gut ist

Nach dem Seminar, an dem ich dieses wertvolle Instrument erhalten hatte, war ich fest entschlossen, diese neue Sitzordnung in unserer Familie einzuführen. Bis dahin hatten wir tatsächlich meistens anders am Tisch gesessen. Da wir zudem keine festgelegte Sitzordnung hatten, kamen noch tägliche aufreibende Diskussionen dazu, welches Kind denn nun wo und neben wem sitzen dürfe.

Das änderte sich jetzt. Kaum zuhause, lud ich meinen Mann, Ben und Mia an den Tisch ein und erläuterte, dass von nun an jedes “seinen” Platz einnehmen dürfe – und dass diese Ordnung künftig bestehen bleiben werde. Und siehe da: Ich war so klar in meiner Ansage, dass die neue Sitzordnung widerspruchslos von allen angenommen wurde.

Seither sitzen wir zuhause so am Tisch. Ausnahmen gibt es, wenn wir eingeladen sind und in seltenen Fällen im Restaurant.

Und ja: In meiner Wahrnehmung hat diese Massnahme sehr viel bewirkt. Sie hat viel Ruhe in die Familie gebracht. Selbstverständlich lassen sich nicht alle positiven Veränderungen darauf zurückführen. Ben und Mia sind auch grösser und reifer geworden. Doch diese Anordnung am Tisch hat geholfen – und ist fester Bestandteil in unserem Alltag geworden.

 

⇒ Noch ist es einige Tage hin bis Weihnachten: Wenn dich das Instrument anspricht, kannst du es heute noch umsetzen. An Heiligabend hat sich schon die ganze Familie daran gewöhnt. Und die Chancen steigen für eine harmonisch-friedliche Kaminfeuer-Idylle!

 

PS: Wenn Grosseltern mit am Tisch sitzen, nehmen sie die Position vor den Eltern ein (erst Grossvater, dann Grossmutter). Sie sitzen dann also zwischen den Eltern und deren Kindern (bzw. ihren Grosskindern).

PS 2: In meinem online-Training “Komm in deine Mutterkraft!” habe ich dieser Rangordnung am Tisch eine eigene Lektion gewidmet. In einem Video gehe ich auf das Instrument und unsere Erfahrungen damit ein. Daneben gebe ich Eltern weitere Weisheiten von Bert Hellinger an die Hand. Ich persönlich halte es für unverzichtbar oder zumindest äusserst hilfreich, diese als Eltern zu kennen.